Von Roland Knauer
eingestellt 07. Juli 2024
Es war wohl die gigantische Explosion eines Vulkans, die vor wenig mehr als zwei Millionen Jahren eine der „Wiegen der Menschheit“ schuf: Von dieser Eruption zeugt im Norden des heutigen Tansanias nicht nur der riesige Ngorongoro-Krater mit einem Durchmesser von rund 20 Kilometern, sondern auch die weitere 20 Kilometer nordwestlich gelegene, 48 Kilometer lange Olduvai-Schlucht. In den Sedimenten am Grund des Canyons fanden Frühmenschenforscher in den letzten hundert Jahren nicht nur etliche Hinweise auf Frühmenschen der Gattung Homo und deren Verwandtschaft, sondern ganz unten auch eine dicke Schicht aus vulkanischem Material aus der gewaltigen Ngorongoro-Eruption. Direkt über dieser Schicht aber beschreiben Michael Petraglia von der Griffith University in Brisbane in Australien und seine Kollegen von den Universitäten im kanadischen Calgary und im tansanischen Daressalam, sowie weiteren Forschungsinstitutionen in der Zeitschrift Nature Communications zehn Steinwerkzeuge, die mit 2,03 Millionen Jahren der älteste Nachweis für Aktivitäten unserer Urahnen in dieser Region sind.
„Diese Frühmenschen erreichten die Olduvai-Schlucht also offensichtlich bereits kurz nach dem verheerenden Vulkanausbruch“, erklärt Michael Petraglia diesen Fund. Weitere Eruptionen lagerten darüber mehrere weitere Schichten von Vulkanasche ab. Dazwischen aber finden die Forscher an der „Ewass Oldupa“ genannten Ausgrabung insgesamt 565 Steinwerkzeuge. Aus mehreren Isotopen-Analysen dieser Schichten schließen die Forscher, dass die Frühmenschen dort über einen Zeitraum von 235.000 Jahren immer wieder ihre Steinwerkzeuge hinterlassen haben.
Versteinerte Knochen von den Herstellern dieser Relikte haben die Forscher allerdings keine gefunden. Im Prinzip könnten als Werkzeugmacher der Ewass Oldupa-Funde also auch die an anderen Stellen der Olduvai-Schlucht gefundenen Paranthropus-Vormenschen infrage kommen. Nur nehmen Frühmenschenforscher bisher an, dass sich die massiven Schädel und Beißwerkzeuge dieser eng mit den Australopithecus-Vormenschen verwandten Gattung entwickelt hatten, um damit harte Nüsse und Knollen in einer recht trockenen Umwelt wie der heutigen Olduvai-Schlucht zu öffnen. Die einst „Nussknacker-Menschen“ genannte Verwandtschaft hätte daher gar keine Werkzeuge gebraucht, die unsere Urahnen einst mit geschickten Händen für den gleichen Zweck herstellten. Von diesen Frühmenschen aber hatten andere Forscher gerade einmal 350 Meter von der Ewass Oldupa-Ausgrabung entfernt den Oberkiefer und Teile der Gesichtsknochen eines Homo habilis entdeckt, der dort vor 1,82 Millionen Jahre und damit in der gleichen Epoche wie die Werkzeugmacher lebte.
In den Ablagerungen aus dieser Zeit fanden Michael Petraglia und seine Kollegen auch 1373 Fossilien, die unter anderen von Büffeln, Schweinen, Flusspferden, Leoparden, Löwen, Hyänen und Affen stammten. Aus diesen Funden und aus weiteren modernen Untersuchungen wie der Analyse von Pflanzen-Pollen konnten die Forscher auch die Landschaft und ihre Vegetation in der damaligen Zeit bestimmen. Demnach wand sich einst ein Fluss durch die Schlucht, später entstand dort ein See. Die Landschaft an den Ufern dieser Gewässer änderte sich in dieser Zeit erheblich. Als die ersten Menschen kurz nach der mächtigen Ngorongoro-Eruption ihre Steinwerkzeuge in der Olduvai-Schlucht hinterließen, wuchsen demnach auf den Wiesen an den Ufern des Flusses vor allem Farne. Später gab es dort Wälder mit Palmen und Farnen, die noch später von einer Landschaft abgelöst wurden, deren Vegetation immer wieder von natürlichen Bränden umgestaltet wurde. Erst danach staute der Fluss sich zu einem See, der anschließend von einer Parklandschaft mit vielen Baumgruppen abgelöst wurde, bevor sich erneut ein See bildete und sich schließlich eine Busch-Steppe etablierte.
„In allen diesen Landschaften finden wir Steinwerkzeuge, die sich in dieser langen Zeitspanne kaum änderten“, erklärt Michael Petraglia. Offensichtlich kamen die Frühmenschen also mit den einmal entwickelten Werkzeugen und ohne große Innovationen in diesen sehr unterschiedlichen Landschaften gut zurecht. Schon damals zeigten unsere Urahnen also eine Eigenschaft, die auch die Menschen der heutigen Zeit auszeichnet: Sie waren bereits vor zwei bis 1,8 Millionen Jahren sehr anpassungsfähig.
„Diese Flexibilität wiederum war sehr wichtig für die ersten Menschen, die in der gleichen Zeit ihre Wiegen im Süden Afrikas, im Norden des heutigen Tansanias und im heutigen Äthiopien verließen und nach Asien und Europa kamen“, meint Michael Petraglia. Dort mussten sie sich ja ebenfalls in sehr unterschiedlichen Landschaften behaupten. Das taten sie recht erfolgreich, bereits vor 1,8 Millionen Jahren hatten sie das heutige Land Georgien am Kaukasus erreicht. Von diesen oder auch von späteren Auswanderern aus Afrika aber stammen auch die Vorfahren der Steinheimer Urmenschen-Frau ab. Diese ersten Ur-Europäer mussten ebenfalls sehr anpassungsfähig sein und lebten in sehr unterschiedlichen Landschaften, die von kalten und wärmeren Klimaphasen geprägt waren. Das gilt sehr wahrscheinlich auch für die Steinheimer Urmenschen-Frau.
Quelle:
Diskussionen mit Prof. Dr. Michael Petraglia von der Griffith University in Brisbane in Australien.
Julio Mercader, Pam Akuku, Nicole Boivin, Revocatus Bugumba, Pastory Bushozi, Alfredo Camacho, Tristan Carter, Siobhán Clarke, Arturo Cueva-Temprana, Paul Durkin, Julien Favreau, Kelvin Fella, Simon Haberle, Stephen Hubbard, Jamie Inwood, Makarius Itambu, Samson Koromo, Patrick Lee, Abdallah Mohammed, Aloyce Mwambwiga, Lucas Olesilau, Robert Patalano, Patrick Roberts, Susan Rule, Palmira Saladie, Gunnar Siljedal, María Soto, Jonathan Umbsaar & Michael Petraglia: „Earliest Olduvai hominins exploited unstable environments ~ 2 million years ago“ in Nature Communications, https://www.nature.com/articles/s41467-020-20176-2