Denisovaner auf der Insel

Das Erbgut einer vor rund 7200 Jahren auf Sulawesi beerdigten Frau enthält einige Überraschungen

Von Roland Knauer

eingestellt 11. März 2024

Das Erbgut aus dem Schädel einer vor 7200 Jahren auf der indonesischen Insel Sulawesi beerdigten Steinzeitfrau liefert interessante Hinweise auch auf die Denisovaner-Menschen Foto: University of Hasanuddin

Bisher bringt man die „Denisovaner“ genannte Schwesterlinie der Neandertaler mit einer kühleren Umgebung im Altai-Gebirge im Grenzgebiet zwischen Russland, Kasachstan, China und der Mongolei, sowie in den Hochlagen Tibets in Verbindung. Vermutlich aber war diese geheimnisvolle Menschenlinie in mindestens zwei Gruppen aufgespalten, von denen ein Ast möglicherweise auch im tropischen Klima in der Inselwelt Südostasiens zuhause gewesen sein könnte. Das folgern Cosimo Posth vom Senckenberg Zentrum für Human-Evolution and Paläoökologie an der Universität Tübingen und eine große Wissenschaftsgruppe von den Max-Planck-Instituten (MPI) für Menschheitsgeschichte in Jena und evolutionäre Anthropologie in Leipzig bis zur Griffith Universität in Brisbane in Australien in der Zeitschrift Nature aus dem Erbgut einer Steinzeitfrau, die vor rund 7200 Jahren auf der indonesischen Inseln Sulawesi begraben worden war.

„Solche Überraschungen kommen häufig aus Regionen, in den bisher kein Erbgut von Steinzeitmenschen untersucht werden konnte“, erklärt Senckenberg-Forscher Cosimo Posth. Zu diesen weißen Flecken auf der Landkarte der Paläogenetiker gehören vor allem die tropischen Regionen wie zum Beispiel die Wallacea-Inseln, die zwischen Neuguinea und der Insel Borneo in Südostasien liegen. Dieses große Gruppe von Inseln, die zusammen eine größere Landfläche als Deutschland haben, ist für Archäologen besonders interessant, weil sie auch in Eiszeiten, in denen der Meeresspiegel 120 oder 130 Meter tiefer als heute lag, immer Inseln waren. Borneo, Sumatra, Java und weitere Inseln waren damals dagegen zum riesigen Subkontinent Sunda im Südosten Asiens verschmolzen, während Australien und Neuguinea sich zum Kontinent Sahul zusammengefunden hatten. Dazwischen aber lagen wie Trittsteine im Meer die Wallacea-Inseln. Nur wusste bisher niemand, welche Menschen auf dieser Drehscheibe zwischen Australien und Neuguinea auf der einen und dem Südosten Asiens auf der anderen Seite in der Steinzeit lebten.

Genau diese Frage versucht das deutsch-australisch-indonesische Team mit Hilfe eines „Felsenbein“ genannten Knochens zu beantworten. Dieser umgibt im Schädel von Säugetieren das Innenohr, ist extrem hart und scheint das Erbgut besser als alle anderen Knochen vor dem Zahn der Zeit zu schützen. Auch wenn das tropische Klima die Überreste der wohl 17 oder 18 Jahre alten Steinzeitfrau aus der Fledermaushöhle im Süden Sulawesis schon erheblich angegriffen hatte, gelang es Selina Carlhoff vom MPI in Jena dann doch, DNA aus dem Felsenbein zu isolieren.

Dieses erste Erbgut aus der Zeit vor mehr als 7000 Jahren von den Wallacea-Inseln passt zwar gut zu den Aborigines von Australien und den heutigen Einwohnern Neuguineas. Allerdings enthielt es auch eine Überraschung, die einen wichtigen Hinweis auf den Lebensraum der Denisovaner gibt. Diese Menschenlinie hatte Johannes Krause von den MPIs in Jena und Leipzig, der neben Cosimo Posth die Erbgutanalyse der Sulawesi-Steinzeitfrau leitete, bereits Ende 2009 mit einer DNA-Analyse eines Fingerknöchelchens entdeckt, das in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge im äußersten Süden Sibiriens gefunden worden war. Diese Schwestergruppe der Neandertaler und damit auch der der Steinheimer Urmenschen-Frau wurde seither mit Erbgut- und Protein-Analysen in 50.000 bis 200.000 Jahre alten Knochen- und Zähnen in der Denisova-Höhle, aber auch in einem ähnlich alten Unterkiefer im Hochland von Tibet nachgewiesen.  Da sich DNA-Spuren der Denisovaner auch im Erbgut der Menschen finden, die heute im Osten Asiens leben, sollte diese Menschenlinie einst dort gelebt haben, während die Neandertaler weiter im Westen und in Europa zuhause waren. Obendrein gibt es klare Hinweise auf mindestens eine zweite Denisovaner-Gruppe, die anscheinend weiter im Südosten gelebt hatte. Darauf deutet zumindest das Erbgut der heute noch auf Neuguinea, in Australien und auf den Inseln Ozeaniens lebenden Ureinwohner hin, das mit rund drei Prozent einen der weltweit höchsten Anteile von Denisovaner-DNA hat.

Nur gibt es dort keinerlei Hinweise auf Menschen, die älter als 50.000 Jahre sind. Auf Sulawesi dagegen sind Steinwerkzeuge aufgetaucht, die mindestens 120.000 Jahre alt sein dürften. Als deren Schöpfer könnten natürlich die Denisovaner in Frage kommen. Allerdings sind bisher leider keine Überreste von diesen Steinzeit-Handwerkern auf den Wallacea-Inseln aufgetaucht, die eine solche Annahme untermauern könnten. Und auf den ersten Blick scheint auch das jetzt analysierte Steinzeitmenschen-Erbgut nicht für eine solche Überlegung zu sprechen: „Die vor 7200 Jahren in der Fledermaushöhle auf Sulawesi beerdigte Frau hatte mit etwa zwei Prozent einen etwas kleineren Denisovaner-Erbgut-Anteil als die Aborigines in Australien“, erklärt Senckenberg-Forscher Cosimo Posth.

Allerdings liefert dieses Erbgut eine weitere Überraschung, die auch den niedrigen Denisovaner-Anteil im Erbgut der dort begrabenen Frau erklärt und möglicherweise sogar die Heimat der zweiten Denisovaner-Linie aufdeckt: „Ein sehr großer, aber kaum abschätzbarer Teil des Erbguts aus der Fledermaushöhle stammt offensichtlich von einer bisher völlig unbekannten Geisterpopulation“, berichtet Cosimo Posth. Dieser DNA-Anteil stammt nach den Analysen des Teams allen Anschein nach aus Asien, und die Menschen aus dieser Geisterpopulation mischten sich wohl erst vor weniger als 40.000 Jahren unter die damals auf Sulawesi lebenden Menschen.

Das aber deutet möglicherweise auf eine verblüffende Geschichte hin. „Vielleicht hatten es die Denisovaner ja vor den modernen Menschen geschafft, mit Wasserfahrzeugen vom Subkontinent Sunda nach Sulawesi überzusetzen“, grübelt Cosimo Posth. Da die Straße von Makassar zwischen Borneo und Sulawesi heute mindestens 70 Kilometer breit und auch in der Eiszeit nicht trocken gefallen ist, gelangen solche Überfahrten wahrscheinlich nur sehr selten. Die Denisovaner lebten auf den Wallacea-Inseln daher sehr isoliert und entwickelten sich mit der Zeit zu einer eigenen Linie. Dann schafften vor 45.000 Jahren oder ein wenig früher moderne Menschen die Überfahrt und mischten sich mit den Alteingesessenen, bis schließlich eine Population mit einem kräftigen Schuss von drei Prozent Denisovaner-Erbgut entstanden war. Diese Menschen schafften dann den Sprung nach Sahul und damit nach Australien und Neuguinea.

Bei den auf den Wallacea-Inseln bleibenden Menschen aber schauten vor weniger als 40.000 Jahren dann wieder andere Neuankömmlinge aus westlichen Regionen vorbei. Dort aber hatten die Menschen allenfalls noch winzige Denisova-Spuren im Erbgut. „Diese Neuankömmlinge könnten daher den Denisova-Anteil im Erbgut verdünnt haben“, vermutet Cosimo Posth. Noch ist diese Geschichte allerdings nur eine Theorie, die sich vor allem auf den niedrigeren Denisovaner-Anteil in der DNA der Frau aus der Fledermaushöhle stützt. „Mit mehr Erbgut-Analysen von Steinzeitmenschen aus dieser Weltgegend könnten wir diese Theorie aber bestätigen“, hofft Cosimo Posth. Und vielleicht bringen solche Indizien aus Erbgut-Analysen eines Tages auch Hinweise auf die Verwandtschaftsverhältnisse der Steinheimer Urmenschen-Frau.

 

 

Quelle:

Diskussionen mit Prof. Dr. Cosimo Posth von der Universität Tübingen und dem Senckenberg-Zentrum für Humanevolution und Paläoumwelt.

 

Selina Carlhoff, Akin Duli, Kathrin Nägele, Muhammad Nur, Laurits Skov, Iwan Sumantri, Adhi Agus Oktaviana, Budianto Hakim, Basran Burhan, Fardi Ali Syahdar, David P. McGahan, David Bulbeck, Yinika L. Perston, Kim Newman, Andi Muhammad Saiful, Marlon Ririmasse, Stephen Chia, Hasanuddin, Dwia Aries Tina Pulubuhu, Suryatman, Supriadi, Choongwon Jeong, Benjamin M. Peter, Kay Prüfer, Adam Powell, Johannes Krause, Cosimo Posth & Adam Brumm: Genome of a middle Holocene hunter-gatherer from Wallacea in Nature,

 

Nature Band 596, Seiten 543 bis 547, Link: https://www.nature.com/articles/s41586-021-03823-6

Wallacea heißt eine große Gruppe von Inseln, die zwischen dem nur in der Eiszeit existierenden asiatischen Subkontinent Sunda und dem damals aus Australien und Neuguinea entstandenen Kontinent Sahul lagen Graphik: Kim Newman
Solche Steinspitzen nutzte die vor 7200 Jahren auf der indonesischen Insel Sulawesi beerdigte Steinzeitfrau, deren Erbgut interessante Hinweise auch auf die Denisovaner-Menschen gab Foto: Yinika L Perston
Bei Ausgrabungen in der Fledermaus-Höhle auf der indonesischen Insel Sulawesi tauchten im Erbgut aus dem Schädel einer vor 7200 Jahren dort beerdigten Steinzeitfrau interessante Hinweise auch auf die Denisovaner-Menschen auf Foto: Leang Panninge Research Project
Bei Ausgrabungen in der Fledermaus-Höhle auf der indonesischen Insel Sulawesi tauchten im Erbgut aus dem Schädel einer vor 7200 Jahren dort beerdigten Steinzeitfrau interessante Hinweise auch auf die Denisovaner-Menschen auf Foto: Leang Panninge Research Project
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