Täuschender Sinter

Australopithecus-Fossilien aus der Sterkfontein-Höhle

in Südafrika sind mehr als eine Million Jahre älter

als bisher angenommen

Von Roland Knauer

eingestellt 04.05.2025

Diese vier Australopithecus-Schädel lagen rund 3,5 Millionen Jahre in der Sterkfontein-Höhle in Südafrika, bevor sie entdeckt wurden Foto: Jason Heaton, Ronald Clarke, Ditsong Museum of Natural History

Seit 1999 eine Reihe von Karsthöhlen nordwestlich der südafrikanischen Metropole Johannesburg zum „Welterbe der Menschheit“ erklärt wurden, wirbt diese Region gerne mit dem Begriff „Cradle of Humankind“. Für diese „Wiege der Menschheit“ sprechen sehr viele Fossilien von Früh- und Vormenschen, die dort in einem gerade einmal 25.000 Hektar großen Gebiet in 15 Höhlen gefunden wurden. Mit Australopithecus, Paranthropus und Homo lebten dort vor gut zwei Millionen Jahren praktisch gleichzeitig gleich drei unterschiedliche Homininen-Gattungen. Fast ein Drittel aller Vormenschenfunde kommen aus diesem winzigen Gebiet von der Größe von rund 35.000 Fußballfeldern. Allerdings passen die vielen AustralopithecusFunde dort nicht so recht ins klassische Bild der Menschheitsgeschichte, nach dem sich die Gattung Homo und damit auch der moderne Mensch aus Australopithecus entwickelt hat. In der Wiege der Menschheit sollten demnach die Australopithecus-Vormenschen deutlich vor ihren Nachkommen gelebt haben. Genau das war offensichtlich auch der Fall, erklären jetzt Darryl Granger von der Purdue University im US-Bundesstaat Indiana und sein Team in der Zeitschrift PNAS (https://www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.2123516119 ).

Untersucht hat das Team die Funde in der Sterkfontein-Höhle, die wohl den Weltrekord für Australopithecus-Fossilien an einem einzigen Ort hält. Die Sinter-Ablagerungen in der Schicht mit den allermeisten dieser Vormenschen-Relikte sind 2,1 bis 2,6 Millionen Jahre alt, also sollten die Funde das gleiche Alter haben. So lautete jedenfalls bisher die Annahme. Darryl Granger und sein Team aber wollten es genauer wissen und analysierten das Brekzien-Gestein, in dem die Fossilien eingebettet sind.

Liegt Geröll an der Oberfläche, schlagen dort immer wieder Partikel mit sehr hoher Energie aus der Strahlung ein, die ständig aus dem Weltraum auf die Atmosphäre der Erde prasselt. Dabei entstehen laufend natürliche radioaktive Substanzen wie Aluminium-26 und Beryllium-10. „Liegt das Gestein später zum Beispiel in einer Höhle unter der Erde, kommt viel weniger kosmische Strahlung dort an und es bilden sich weniger dieser Isotope“, erklärt der Archäologe und Datierungsspezialist Daniel Richter von der Universität Mainz., der an der PNAS-Studie nicht beteiligt war. Dann beginnt die radioaktive Uhr zu ticken, Beryllium-10 und Aluminium-26 zerfallen im Laufe von Jahrmillionen sehr gleichmäßig zu Bor-10 und Magnesium-26. Aus der Menge dieser Isotope in den Brekzien um die Fossilien rechnen Darryl Granger und sein Team dann aus, dass dieses Gestein bereits seit 3,4 bis 3,7 Millionen Jahren unter der Erde liegt und damit eine gute Million Jahre älter als bisher angenommen ist. „Da die Überreste toter Organismen an der Oberfläche rasch zersetzt werden, sollten die Australopithecus-Fossilien in der Sterkfontein-Höhle etwa zur gleichen Zeit mit datierten Bestandteilen der Brekzie abgelagert worden sein“, erklärt Daniel Richter. Die Vormenschen sollten also ebenfalls vor etwa 3,5 Millionen Jahren gelebt haben.

Woher aber rührt der riesige Unterschied von rund einer Million Jahren zum Alter des Sinters, der ebenfalls im Brekzien-Gestein mit den Australopithecus-Überresten steckt? Ein Blick in die Entstehungsgeschichte der Fossilien-Funde in der Sterkfontein-Höhle gibt einen wichtigen Hinweis: Dort stürzte vor Jahrmillionen Geröll zusammen mit den Überresten der Vormenschen durch ein Loch bis tief hinunter in die Höhle. Durch solche Karsthöhlen fließt oft auch Wasser, aus dem sich Kalk abscheidet und Sinterschichten bildet. Solche Ablagerungen aber können durchaus erst lange nach dem Sturz der Fossilien in die Tiefe entstehen. Für eine solche späte Bildung der Sinterschichten haben Darryl Granger und sein Team wichtige Hinweise gesammelt. „Leider sind einige Details in dieser Argumentationskette in der Studie nicht ausführlich genug dargestellt“, kritisiert Daniel Richter. „Allerdings ändert das nichts an der Grund-Aussage, nach der die Fossilien dort rund 3,5 Millionen Jahre alt sein sollten“, meint der Archäologe weiter.

Daher sollten die AustralopithecusVormenschen etwa eine Million Jahre vor den Homo erectus-Frühmenschen in dieser Gegend gelebt haben. Diese wiederum sind die extrem frühen Ahnen der Steinheimer Urmenschen-Frau. Die in Sterkfontein gefundenen Australopithecus-Fossilien können also durchaus zu den Vorfahren der Gattung Homo gehören. Die Bezeichnung „Wiege der Menschheit“ für dieses kleine Gebiet in der Nähe von Johannesburg aber könnte trotzdem ein wenig in die Irre führen. Schließlich lebten diese Australopithecus africanus-Vormenschen etwa zur gleichen Zeit wie einige weitere Funde im Afar-Dreieck des heutigen Äthiopien. Die dort ausgegrabenen Vormenschen-Überreste rund um das berühmte Fossil Lucy aber gehören zu einer anderen Linie, die Australopithecus afarensis genannt wird – und die ebenfalls zu den Vorfahren der Gattung Homo gehören kann.

„Erbgut-Analysen haben bei jüngerer Zeit gezeigt, dass Neandertaler, Denisova-Menschen und frühe moderne Menschen gemeinsame Nachkommen hatten, deren Spuren auch im Erbgut heute lebender Menschen noch nachweisbar sind“, weist Daniel Richter auf Studien aus den vergangenen Jahren hin. „Da liegt die Überlegung nicht fern, dass Ähnliches auch bei den Australopithecus-Linien passiert ist“, meint der Archäologe weiter. Dann aber hätte die Wiege der Menschheit nicht nur in einer kleinen Region im heutigen Südafrika gestanden. Vielmehr würden weite Teile dieses Kontinents den Titel „Cradle of Humankind“ für sich beanspruchen können.

Dieser Australopithecus-Schädel einer Frau lag rund 3,5 Millionen Jahre in der Sterkfontein-Höhle in Südafrika, bevor er 1947 entdeckt wurde Foto: Jason Heaton, Birmingham-Southern College, Birmingham, Alabama
Darryl Granger von der Purdue-Universität im US-Bundesstaat Indiana konnte die Australopithecus-Funde in der Sterkfontein-Höhle Südafrikas auf 3,5 Millionen Jahre datieren Foto: Purdue University photo/Lena Kovalenko

Förderverein Urmensch-Museum Steinheim e.V.

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